Ist Marienverehrung biblisch?

■ (Teil 1) Neben dem Kreuzzeichen gehört auch die Marienverehrung zu einem der typischen Merkmale des katholischen Glaubens. Denn wenn man sieht, wie sich jemand bekreuzigt, oder bei einem Menschen den Rosenkranz um die Hand oder ein Marienbild in der Wohnung erblickt, dann weiß wohl jeder, dass es sich bei der betreffenden Person um einen Katholiken handelt.
Als mir vor einigen Jahren von einem schwedischen Katholiken ein Motorboot für eine meiner Missionen vererbt wurde, reiste ich nach Göteborg, um es zu verkaufen. Da sich die Boote zur Winterzeit nicht im Wasser befinden, musste ich - mangels einer ganz genauen Karte - mein Boot zusammen mit einem Bootsverkäufer im Trockendock erst suchen. Nachdem wir in einige der Motorboote hineingeschaut hatten, sahen wir schlussendlich in einem der Boote eine Ikone der Muttergottes. Da wurde es uns klar - das ist das betreffende Boot!
Dagegen wenden viele Protestanten gegen die katholische Marienverehrung gern ein, diese würde Gott die Ehre rauben. Denn in welchem Umfang man Maria verehre, in einem ähnlichen Umfang würde man eben Jesus vernachlässigen. Und manche - besonders die so genannten evangelikalen Kreise - gehen in ihrer radikalen Ablehnung der Marienverehrung sogar so weit, dass sie sie in absurder Weise geradezu für eine der größten Sünden halten bzw. bisweilen sogar als eine echte Gotteslästerung einstufen.
■ Vor etlichen Monaten befand ich mich auf einer der Reisen nach England auf dem Bahnhof eines der Londoner Flughäfen. Vor Abfahrt des Zuges spazierte ich noch etwas auf und ab auf dem Bahnsteig. Da kam mir ein Herr in mittleren Jahren entgegen und grüßte mich sehr freundlich. Es entwickelte sich ein interessantes Gespräch zwischen uns beiden - diese Unterhaltung zu verschiedenen Glaubensthemen setzten wir dann auch noch während der Zugfahrt fort.
So bemerkte dann dieser Herr irgendwann, der, wie es sich herausstellte, ein evangelikaler Christ war und ziemlich den Niedergang des Glaubens in der Anglikanischen Kirche Englands kritisierte, er könne sich nicht vorstellen, jemals ein Katholik zu werden. Ja warum denn? Weil wir, die Katholiken, ja “Maria anbeten” würden.
Stopp, meinte ich, das sei ja sein erster kapitaler Fehler! Kein echter Katholik, der seinen Glauben gut genug kennt, würde jemals Maria anbeten. Wir beten nur Gott an - Er allein ist die Quelle des Heils und hat uns in Jesus Christus erlöst. Die Heiligen dagegen, und hier allem voran natürlich Maria, werden von uns verehrt und um ihre Fürsprache für uns am göttlichen Thron angegangen.
So versuchte ich ihm dies am Beispiel der bei uns doch sehr verbreiteten Litaneien zu verdeutlichen. So würden wir ja da zu Beginn immer beten: “Herr, erbarme Dich unser; Christus, erbarme Dich unser; Herr, erbarme Dich unser”, um dann bei den Heiligen unsere Bitte entsprechend zu ändern: “Heilige Maria, bitte für uns; Heiliger Josef, bitte für uns; Heiliger Petrus, bitte für uns”! Und auch im Ave Maria, dem wohl häufigsten Gebet eines Katholiken, wenn er sich an einen der Heiligen wendet, sprechen wir: “Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns, Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.”
Wir bitten die Heiligen, für uns zu beten und zu bitten, weil sie ja nun im Himmel ganz nahe bei Gott sind! Sie haben zuvor dieses leidenvolle Tränental der irdischen Pilgerschaft mit uns geteilt und sind somit umso mehr in der Lage, mit uns entsprechend mitzufühlen. Darauf ruht unser ganzes Vertrauen, weswegen wir sie ja auch um ihre Fürbitte angehen. Wir danken ihnen auch für ihre Fürbitte und verehren sie eben als Vorbilder im Glauben.
Darauf kam von meinem Gesprächspartner der Einwand, warum solle man denn zu Maria beten, man könne sich ja direkt an Jesus wenden. Der betreffende Herr hat an dieser Stelle von sich aus bestätigt, dass Maria zwar ein ganz besonderer Mensch sei, da sie ja die Mutter Jesu ist. Aber brauche man sie denn überhaupt als eine Art Fürsprecherin, da man ja gleich zu Jesus gehen und beten könne?
Während des Gesprächs zuvor erfuhr ich, dass mein Reisebegleiter drei Töchter im noch nicht erwachsenen Alter hat. So brachte ich dann zunächst meine Hoffnung zum Ausdruck, sie mögen sich immer bester Gesundheit erfreuen. Allerdings würden ja, wie alle anderen Menschen, auch diese drei Mädchen manchmal krank werden. Betet dann deren Vater für sie? Auch etwa um ihre baldige und vollständige Genesung? “Ja, natürlich”, bekam ich sofort als Antwort zu hören. Wunderbar, wenn er das tue, er ist ja offenkundig ein guter Vater, der sich um seine Kinder sorgt und mit ihnen mitempfindet.
Aber bittet er dann auch seine Freunde und sonstige Verwandte, für seine Kinder zu beten, wenn sie krank werden? Darauf hieß es von ihm ebenfalls sofort: Ja. Nun konnte ich diesem Herrn danken bzw. die sachliche Feststellung machen, dass er mit dieser seiner Antwort die katholische Heiligenverehrung ihrem Wesen nach eigentlich selbst gutgeheißen hat! Ja, Gott allein ist der Ursprung und die Quelle aller Gnade - Er hat uns am Kreuz erlöst. Aber die Heiligen - und hier vor allem die Muttergottes wegen ihrer ganz besonderen Stellung im Heilsplan Gottes - sind eben unsere besten “Freunde”, an die wir uns in unserer Not ebenfalls wenden. Wenn ein Mensch, der Hilfe braucht, zu Gott betet, dann ist es natürlich gut. Aber noch besser ist es, wenn mehr Menschen bzw. mehrere Seelen in demselben Anliegen zu Gott beten - darum bitten wir die Heiligen, wenn wir sie um ihre Fürsprache am göttlichen Thron angehen! Daran ist nichts auszusetzen - dies ist weder verwerflich noch gotteswidrig. Im Gegenteil, ein solches Bitten des Heiligen um seine Fürbitte für uns ist sowohl nützlich und sinnvoll als auch höchst wünschenswert, zumal das Gebet für den Nächsten zu einer Selbstverständlichkeit des christlichen Glaubens wie des gelebten Christentums gehört!
Der betreffende Herr wurde nachdenklich und sagte dazu nach einer kurzen Pause vielsagend, dass er das so noch nicht gesehen hätte. Hoffentlich zieht er aus dieser Erkenntnis auch die entsprechenden Schlussfolgerungen.
■ Außerdem muss man feststellen, dass viele Protestanten - und hier, wie oben bereits erwähnt, vor allem die evangelikalen Kreise - zwar immer wieder darauf pochen, dass sie sich nach der Bibel richten, diese aber, unter anderem auch im Hinblick auf Maria und die Heiligen, dennoch sträflichst vernachlässigen bzw. gröblichst missachten!
Enthalten denn ihre Bibeln nicht zum Beispiel die Stelle des Lukasevangeliums (Lk 1,26-38), in welcher Maria vom Erzengel Gabriel auf eine ganz außergewöhnliche, ja einmalig besondere Weise gegrüßt wird? Der Erzengel Gabriel wurde nämlich “von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa mit Namen Nazareth zu einer Jungfrau. ... Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sagte: ‘Freue dich, du Gnadenvolle! Der Herr ist mit dir. Du bist die Gebenedeite unter den Weibern.’”
Man stelle sich vor: Die ganze Menschheit befindet sich vor dem Kommen und Heilswirken Jesu in der Dunkelheit der Sünde und der Engel spricht Maria dennoch als die “Gnadenvolle”, voll der Gnade, an! Obwohl sonst alle ausnahmslos noch mit der Erbsünde behaftet sind und sich somit fern Seiner Erlösergnade befinden, wird Maria im Unterschied dazu - im ausdrücklichen Auftrag Gottes! - als jemand begrüßt, der nicht nur in irgendeinem begrenzten Umfang im Stande der Gnade Gottes ist, sondern sogar ganz von dieser Gnade erfüllt ist! Warum weigern sich denn die meisten Protestanten so vehement, die betreffenden Grußworte des Erzengels zu widerholen, wenn ihnen die Heilige Schrift angeblich so wichtig ist?
Adam und Eva haben Gott nach ihrer Erschaffung im Paradies nicht gehorcht und sich somit von Ihm losgesagt. Die ganze Menschheit leidet seitdem unter dem Fluch der Sünde und Gottesferne - praktisch jede Seite des Neuen Testamentes berichtet davon, dass die Menschen von Gott getrennt sind, wenn sie ohne Jesus Christus sind! Und nun zählt der Erzengel Gabriel die Tatsache, dass Maria (als Einzige!) sich dennoch in einer innigsten Gemeinschaft mit Gott befindet, zu einer der außergewöhnlichsten Auszeichnungen dieses jungen Mädchens: “Der Herr ist mit dir”!
Man sollte (im betrachtenden Gebet) ebenfalls versuchen zu verstehen, was das göttliche Geheimnis eigentlich bedeutet, dass Maria in der damaligen konkreten historischen Situation, da doch Jesus Christus, der göttliche Erlöser nämlich, noch nicht einmal geboren wurde, das einmalige Privileg zugestanden wurde, dass der Herr bereits mit ihr sei! Nicht umsonst berief sich die katholische Kirche bei der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariens auf diese wunderbare Stelle des Lukasevangeliums mit der Nennung der betreffenden zwei außergewöhnlichen Privilegien der hl. Jungfrau.
Dann kann man es einfach nicht begreifen, dass Menschen, die vorgeben, besonders bibelfest und -treu zu sein, sich solche elementaren Fehler “erlauben”, dass sie - hier im Hinblick auf die Muttergottes - die Aussagen der Heiligen Schrift nicht nur nicht anerkennen wollen, sondern sie sogar in ihr Gegenteil verdrehen und somit pervertieren! Dem Wirken des Geistes Gottes ist dies sicherlich nicht zuzurechnen. Wie kann sich denn jemand weigern, Maria als “voll der Gnade, der Herr ist mit dir” zu bezeichnen und anzusprechen, wenn dies die im Heiligen Geist eingegebenen Worte eines von Gott gesandten Engels sind?!?
Wir dagegen wollen im Ave Maria die hl. Jungfrau jedes Mal voll Freude mit den wunderbaren Worten des Erzengels Gabriel begrüßen und ihre Gnadenauszeichnungen voll Dankbarkeit um das Gnadenwirken Gottes an ihr bewundern. Und im zweiten Teil des Ave Maria bitten wir sie als unsere himmlische Mutter dann um ihre wirksame Fürsprache bei ihrem göttlichen Sohn Jesus Christus. Denn wenn schon wir als sittlich schwache und zur Sünde neigende Menschen unseren Müttern kaum eine ernsthaft vorgetragene Bitte abschlagen können, um wie viel weniger wird Jesus nicht auf die Stimme Seiner Mutter hören, wenn sie für uns, ihre geistigen Kinder, ihre wirksame mütterliche Fürbitte einlegt!

P. Eugen Rissling

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